Lob sei dem Reichtum seiner Gnade
Warum Paulus sich so vorstellt
Aber warum ist das überhaupt so wichtig? Warum stellt Paulus sich am Anfang seines Briefes auf diese Weise vor? Es ist deshalb so bedeutend, weil die Botschaft, die Paulus verkündigt, eine gewaltige, grundlegende, ja massive Botschaft ist – sie braucht absolute Autorität.
Die Christen in Ephesus kannten Paulus. Sie wussten um seine Sendung und seine Zugehörigkeit zu Christus. Deshalb haben sie seine Worte als wahr und normativ angenommen.
Genauso sollten auch wir es tun.
Denn es ist die Botschaft von jemandem, der von Christus gesandt ist, Christus gehört und in einer Christusähnlichen oder gleichen Weise eine Botschaft von Christus für uns hat.
Die Empfänger des Epheserbriefes
Weiter geht es in Epheser 1 mit den Empfängern des Briefes. Paulus nennt vier Dinge, die diese Christen kennzeichnen:
1. Heilig – Herausgenommen für Gott
Das erste, was Paulus unter der Leitung des Heiligen Geistes über sie sagt: Sie sind heilig. Dabei bedeutet „heilig“ nicht eine besondere Gruppe von Überchristen, die fehlerfrei sind und die Fehler anderer schnell erkennen. Heilig bedeutet vielmehr: herausgenommen, abgesondert aus der Welt, nicht als Selbstzweck, sondern um Gott geweiht zu sein. Es geht darum, ein Eigentumsvolk Gottes zu sein. Das ist ein Ausdruck, den wir auch an anderen Stellen des Neuen Testaments finden.
2. Gläubig – Auf die Heilsbotschaft vertrauen
Dann nennt Paulus als zweite Eigenschaft: Sie sind gläubig – oder anders übersetzt: treu. Viele Ausleger halten die Übersetzung mit „gläubig“ hier für treffender. Und tatsächlich: Jeder Gläubige sollte auch treu sein. Doch der Fokus liegt hier nicht auf menschlicher Leistung, sondern auf dem, was Gott an und für uns getan hat. Es sind Menschen, die an Jesus glauben, die die Heilsbotschaft gehört, ihr vertraut, sie angenommen und sich hingegeben haben – das alles ist Glaube.
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Es gibt also nicht zwei Gruppen – Heilige und Gläubige –, sondern jeder Gläubige ist per Definition auch ein Heiliger.
3. In Christus – Unsere wahre Identität
Als drittes beschreibt Paulus sie als „in Christus“. Diese Formulierung ist zentral im gesamten Epheserbrief. Sie beschreibt unsere Einheit mit Christus – ein tiefes Geheimnis. Christus lebt in uns, und wir leben in ihm. Paulus bringt das im Galaterbrief so zum Ausdruck:
Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat. (Galater 2,20)
Dieses „in Christus“ bedeutet, dass wir Anteil haben an allem, was unserem verherrlichten Herrn gehört. Alle himmlischen Segnungen sind in Christus, und wenn wir in ihm sind, dann stehen uns diese Segnungen offen.
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Es bedeutet auch, dass wir Teil seines Leibes sind – also Teil seiner Gemeinde.
4. In Ephesus – Doppelte Wohnsitze
Viertens schreibt Paulus: Sie sind in Ephesus. Diese Stadt war die bedeutendste Metropole Kleinasiens, bekannt für Götzendienst, Magie und eine ausgeprägt gottfeindliche Kultur. In dieser Realität leben die Christen – sie sind in Christus und in Ephesus. Sie haben also zwei Wohnsitze: geistlich in Christus und geografisch in einer feindlichen Umwelt.
Diese vier Beschreibungen – heilig, gläubig, in Christus und in Ephesus – geben ein wunderbares Bild. Sie gehören Gott, sie glauben an Christus, sie leben in ihm, und zugleich leben sie in einer realen, oft schwierigen Welt. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wie kann man das Leben in Christus in einer gottfeindlichen Welt führen? Paulus zeigt: Es ist möglich. Er schreibt an die Gläubigen in Christus, die in Ephesus sind – das ist für ihn kein Widerspruch.
Und genau darin liegt auch die Gliederung des Epheserbriefes:
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Kapitel 1 bis 3 beschreiben, was wir in Christus geworden sind – auf eine wunderschöne, atemberaubende Weise.
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Kapitel 4 bis 6 zeigen, wie wir das im Alltag leben können – damals in Ephesus, heute in Heidelberg oder an jedem anderen Ort.
Die „Grammatik“ des Evangeliums
Wie kann man den Wert und die Botschaft des Evangeliums im täglichen Leben umsetzen? Dazu ist es notwendig, dass wir die Regeln des Evangeliums verstehen. So wie jede Sprache Grammatik hat, so hat auch das Evangelium eine eigene Sprachlogik. Diese zeigt sich besonders in der Zweiteilung von Indikativ und Imperativ:
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Der Indikativ ist die Wirklichkeitsform. Er beschreibt, was wahr ist – über Gott, über das, was er getan hat, und darüber, was wir dadurch geworden sind. Deshalb finden wir in den Kapiteln 1 bis 3 fast ausschließlich Indikative – keine Aufforderungen, sondern Beschreibungen der Gnade und des Reichtums in Christus.
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Der Imperativ ist die Befehlsform. Er enthält Aufforderungen, wie wir leben sollen – abgeleitet aus den Wahrheiten des Indikativs. Er kommt ab Kapitel 4 zum Tragen.
Das ist von großer Bedeutung. Wenn wir nur diesen Punkt heute mitnehmen, dann haben wir einen wertvollen Schatz. Denn wir neigen dazu, gleich in den Imperativ zu springen – zu dem, was wir tun sollen. Wir lieben Regeln, auch wenn wir das oft nicht zugeben wollen. Aber so funktioniert das Evangelium nicht.
Das Evangelium will, dass wir eintauchen in die köstlichen Wahrheiten der Segnungen in Christus. Dass wir anbeten, Sicherheit in unserer Identität gewinnen – nicht aufgrund dessen, was wir leisten, sondern aufgrund dessen, was Gott aus uns gemacht hat. Und wenn wir darin leben, folgt daraus ganz natürlich, dass wir – im Geist – auch das tun wollen und können, was das Evangelium von uns fordert.
Gnade und Friede – mehr als eine Grußformel
Wenn wir Vers 2 im Epheserbrief betrachten, stoßen wir auf eine Aussage, die auf den ersten Blick schlicht und formelhaft erscheint – eine Grußformel. Doch dieser Gruß ist voll von theologischer Tiefe:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. (Eph. 1,2)
Gnade – das ist Gottes rettendes und freies Handeln an uns. Nicht wir retten uns selbst, nicht durch Leistung oder Verdienst, sondern allein durch die Gnade Gottes sind wir errettet. Gnade bedeutet, dass wir unverdienterweise Gottes gütige Barmherzigkeit erleben dürfen.
Und aus dieser Gnade erwächst Friede – zuerst und grundlegend: Friede mit Gott. In Römer 5,1 lesen wir: „Da wir nun gerechtfertigt sind aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Dieser Frieden ist nicht abstrakt, sondern ganz konkret in Christus verankert, der – wie es später im Epheserbrief heißt – unser Friede selbst ist. Er hat uns mit Gott versöhnt. Doch dieser Friede geht weiter: Er ermöglicht auch Frieden miteinander.
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Diese doppelte Dimension – Friede mit Gott und Friede untereinander – ist tief im Evangelium verankert.
Gott – Der Ursprung aller Gnade
Gnade und Friede sind zentrale Themen im Evangelium und ziehen sich durch den gesamten Epheserbrief. Und beide – Gnade und Friede – kommen „von Gott, unserem Vater“. Dieser Vater ist kein ferner Richter, sondern ein Vater, der mit seinem mitfühlenden Willen möchte, dass wir in Frieden mit ihm leben. Deshalb hat er uns seine Gnade geschenkt – nicht spärlich, nicht gerade ausreichend, sondern aus dem überfließenden Reichtum seiner Gnade. Gnade um Gnade hat er uns gegeben. Diese Gnade kommt nicht nur vom Vater, sondern auch „von dem Herrn Jesus Christus“, denn auch er ist Gott.
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Dieser Gruß am Anfang des Briefes ist nicht nur höfliche Floskel – er ist Evangelium pur.
Der Spalt zur Schatzkammer Gottes
Er ist wie ein Spalt in der Tür zur Schatzkammer Gottes. Paulus öffnet sie behutsam und lässt uns hineinschauen in das, was Gott für uns bereithält. Dieses Bild – ein Spalt in der Tür zur königlichen Schatzkammer – war mir in der Vorbereitung ständig vor Augen. Es ist, als beginne in diesen ersten Worten bereits das Funkeln des Evangeliums, wie ein Diamant in der Dunkelheit.
Und dann, mit Vers 3, stößt Paulus diese Tür weit auf.
„Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus…“ (Eph. 1,3)
Er hält sich nicht mit langen Einleitungen auf. Es ist, als könne er es nicht erwarten, uns hineinzunehmen in die Fülle dessen, was er kennt, liebt und preist: die Herrlichkeit Gottes. Und so beginnt er mit einem einzigen gewaltigen Satz, der sich von Vers 3 bis Vers 14 erstreckt. Zwölf Verse – ein einziger Satz! Selbst im Griechischen ist das ungewöhnlich. Paulus überschreitet hier alle grammatischen Regeln der Sprache im Versuch die gigantischen Schönheiten der Reichtümer Gottes zu beschreiben.
Der Inhalt des geistlichen Lobgesangs
Es ist ein Ausbruch überschwänglichen Jubels ein Überfließen der Begeisterung, hervorgerufen durch das Betrachten und Kennen der Reichtümer der Gnade und des Segens Gottes in Christus. Schon ein kurzer Überblick über diesen Abschnitt zeigt, welche Schätze hier verborgen sind:
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Wir sind überreich gesegnet.
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Wir sind auserwählt zur Heiligkeit.
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Wir sind adoptiert als Kinder Gottes.
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Wir sind erlöst und uns ist vergeben.
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Uns ist der Heilsplan Gottes offenbart.
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Wir sind Miterben Christi.
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Uns ist der Heilige Geist gegeben, der all dies versiegelt.
Diese Aussagen sind nicht wahllos aneinandergereiht, sondern eingebettet in eine trinitarische Struktur:
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In Vers 3 bis 6 spricht Paulus von dem, was der Vater getan hat.
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In Vers 7 bis 12 entfaltet er das Werk des Sohnes.
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In Vers 13 und 14 geht es um das Wirken des Heiligen Geistes.
Und jeder dieser drei Abschnitte endet mit dem gleichen Ziel: „zum Lob seiner Herrlichkeit.“
Sprachliche Schönheit mit tiefer Bedeutung
Die Sprache, die Paulus hier verwendet, ist voller Glanz. Im Griechischen gebraucht er dreimal das Wort „Segen“ in unterschiedlicher grammatikalischer Form:
Gepriesen sei… der uns gesegnet hat… mit jeder geistlichen Segnung. (Eph. 1,3)
Die griechischen Begriffe Eulogētós, eulogēsas, eulogia spiegeln dabei nicht nur Klangschönheit, sondern auch inhaltlichen Reichtum wider. Segen, Segen, Segen – das ist die Botschaft dieses Verses.
Darum beginnt Paulus mit Anbetung. Ohne erst einen Grund zu liefern, preist er Gott. Die Herrlichkeit Gottes ist Grund genug.
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Das ist eine Aufforderung an uns, in diesen Lobpreis einzustimmen: „Ja, gepriesen sei dieser Gott!“
Der erste Grund: Wer Gott ist
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus… (Eph. 1,3)
Zwei Gründe nennt Paulus dafür, warum Gott gepriesen werden soll. Der erste ist: weil er der ist, der er ist. Und wie stellt er sich vor? „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus.“ (Eph. 1,3)
Gott zeigt sich in einer doppelten Beziehung zu Jesus Christus. Zum einen ist er Vater – und das war er von Ewigkeit her. Zum anderen ist er auch Gott Jesu Christi – weil der ewige Sohn Mensch wurde. Erst dadurch war es möglich, dass Gott auch in dieser Weise in Beziehung zu ihm trat.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Matthäus 27,46)
Diese Worte Jesu am Kreuz offenbaren genau diese Beziehung. Ohne diese doppelte Beziehung – Vater und Gott – gäbe es keine Rettung für uns. Seht ihr, wie tief und reich selbst eine solche scheinbar formelhafte Bezeichnung ist? Gott offenbart in ihr das Evangelium: Er ist der Vater der Ewigkeit und zugleich der Gott des menschgewordenen Sohnes.
Der zweite Grund: Was Gott getan hat
der uns gesegnet hat mit jedem geistlichen Segen in der Himmelswelt in Christus. (Eph. 1,3)
Der zweite Grund für den Lobpreis ist das, was Gott getan hat. „Er hat uns gesegnet“ – vollendet, abgeschlossen. Und was bedeutet dieser Segen?
Drei Dinge beschreibt Paulus zu diesem Segen:
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Was? Jede geistlichen Segnung.
Das heißt: nichts fehlt. Jede Art von Segen, die durch den Heiligen Geist gegeben wird, ist uns geschenkt. Das werden wir in den kommenden Versen (Epheser 1,4–14) noch im Detail betrachten. Doch schon jetzt dürfen wir festhalten: jede geistliche Segnung ist uns gegeben. Uns fehlt nichts – jede! -
Wo? – In den himmlischen Örtern
Das griechische Wort kommt im Epheserbrief fünfmal vor – nur dort. Es beschreibt die unsichtbare Welt der geistlichen Realitäten. In Epheser 1,20 lesen wir, dass Christus nach seiner Auferstehung dorthin gesetzt wurde. In Epheser 2,6 heißt es, dass auch wir mit Christus lebendig gemacht, auferweckt und mit ihm gesetzt sind in der Himmelswelt. Unsere Segnungen sind dort, Christus ist dort – und wir sind in ihm dort.
Doch Epheser 6 zeigt auch: In dieser Himmelswelt findet der geistliche Kampf statt – dort wirken die Mächte der Finsternis. Deshalb greift der Feind genau dort an, um uns von der Freude und Kraft dieser Segnungen abzuhalten. -
Wie? Diese Segnungen sind „in Christus“.
Nur wer in Christus ist, hat Zugang zu diesen geistlichen Segnungen. In der Sprache von Johannes 15: nur wenn wir in ihm bleiben, werden wir Frucht bringen. Nur in der bleibenden Gemeinschaft mit Christus – durch Zeit mit ihm und gehorsames Leben aus Liebe – erfahren wir diesen Reichtum. In Christus sein ist der Schlüssel zu allem, was Paulus hier entfaltet.
Ein Schatz, der uns gehört
Ich hatte in der Vorbereitung das Bild der britischen Kronjuwelen vor Augen – wie beeindruckend wäre es, wenn ein Kenner uns durch diese Schatzkammer führt und alles erklärt? Aber noch viel herrlicher ist die Vorstellung: Der König selbst kommt, macht mich und dich zu seinen Kindern – und sagt: „Das gehört dir.“
All diese unvorstellbaren Reichtümer gehören uns – in Christus. Und nicht nur das: Der Verwalter dieser Schätze, Christus selbst, ist unser großer Bruder. Wir dürfen diese Schätze nicht nur anschauen, sondern tragen, genießen, nie mehr verlassen.
Denn: Gott, der liebende Vater, hat uns nichts von seinem Reichtum vorenthalten. Wir dürfen all das in Christus besitzen. Und die Frage, die bleibt, ist: Wollen wir das mehr genießen?
Der Schlüssel ist und bleibt: in Christus sein.
Wie bleiben wir in Christus?
Kennst du diese Segensbringende Einheit mit Christus? Johannes 15 beschreibt zwei Wege dort hin:
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Zeit allein mit Gott – dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.
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Gehorsam aus Liebe gegenüber seinem Wort.
Was wäre noch begeisternder – Wenn der Besitzer dieser Reichtümer dich zu seinem Kind machen würde, und wenn du damit dem Verwalter zum Bruder würdest. Wenn du es besitzen, anfassen und tragen dürftest → du darfst!
Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. (Johannes 1,16)
Nicht wie zwei Kugeln Eis – zwei Portionen Gnade. Nein: Gnade auf Gnade auf Gnade. Ein endloser Strom aus der Fülle Christi.
Seht, wer wir sind:
Wir sind Erben des reichsten Vaters im Himmel.
Lasst uns diese Gnade tief, hoch, breit und lang anbeten.