Die Ersatztheologie des Evangeliums
Zusammenfassung:
Durch das Evangelium bist du nicht mehr, wer du einmal warst – du hast den alten Menschen abgelegt und lebst nun als neuer Mensch mit einem neuen Herzen, Geist und Denken. Es geht nicht nur darum, sündiges Verhalten zu unterlassen, sondern es zu ersetzen. Statt zu lügen, bist du berufen, die Wahrheit in Liebe zu sprechen. Zorn soll nicht aus Selbstrechtfertigung entstehen, sondern aus heiliger Leidenschaft für Gottes Ehre und Gerechtigkeit. Wer einst gestohlen hat, soll nun arbeiten, um geben zu können – aus Egoismus wird Großzügigkeit. Zerstörerische Worte sollen durch aufbauende Sprache ersetzt werden, Bitterkeit durch Güte und Vergebung – denn so spiegelt dein Leben das Wesen Christi wider.
Vom alten Ich zum neuen Leben
Ich freue mich, dass du heute hier bist. Wir sind zusammengekommen, um unseren Gott anzubeten – und das bedeutet weit mehr als nur die Lieder, die wir singen. Jeder Teil unseres Gottesdienstes gehört dazu: jedes Gebet, das wir sprechen, und besonders das Auslegen und Predigen seines Wortes. Unser Herr hat heute Morgen etwas für dich vorbereitet.
Wir befinden uns im letzten Abschnitt von Epheser Kapitel 4, und ich lade dich ein, gemeinsam mit mir darüber nachzudenken, was es bedeutet, als neuer Mensch zu leben.
Was haben wir bisher gelernt? Wir haben erkannt, dass durch das Evangelium und die Gnade Gottes etwas Grundlegendes in uns geschehen ist. Auf Grundlage der Rechtfertigung aus Glauben bist du nicht mehr, wer du einmal warst. Du hast das alte Ich – den „alten Menschen“, wie Paulus es nennt – abgelegt. Und du bist jetzt neu. Du bist mit Christus lebendig gemacht.
Die zentrale Frage, die Paulus im vierten, fünften und sechsten Kapitel des Epheserbriefs stellt, ist: Wie sieht das Leben eines neuen Menschen konkret aus?
Du hast als Christ den alten Lebenswandel hinter dir gelassen. An seine Stelle ist etwas Neues getreten: Du hast einen neuen Menschen „angezogen“ – einen wiedergeborenen Menschen.
Dieser neue Mensch in dir hat eine geistliche DNA:
- Du hast einen neuen Herrn.
- Du hast einen neuen Geist.
- Du hast ein erneuertes Denken.
- Du hast ein neues Herz – wie wir es vorhin gelesen haben aus Hesekiel 36:
„Und ich will euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euch legen.“
(Hesekiel 36,26)
Deshalb bist du nicht nur fähig, sondern auch dazu bestimmt, in einer völlig neuen Weise zu leben. Denn das Verhalten des alten Menschen passt nicht mehr zu dem, was du jetzt bist. Es widerspricht deiner neuen Identität.
In den Versen, die wir heute betrachten – Epheser 4,25–32 – wird Paulus ganz praktisch. In jedem dieser acht Verse findest du mindestens einen Imperativ, also einen Aufruf zum Handeln. Es geht darum, etwas Altes wegzutun und etwas Neues zu leben. Paulus fordert dich also auf, den Lebensstil des alten Menschen aktiv durch den Lebensstil des neuen Menschen zu ersetzen.
Deshalb habe ich dieser Predigt den Titel gegeben: „Die Ersatztheologie des Evangeliums“ – ein bewusst provokativer Titel, um zum Nachdenken anzuregen. Lasst uns nun gemeinsam den Bibeltext für heute lesen:
25 Darum legt die Lüge ab und »redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten«[2], denn wir sind untereinander Glieder. 26 Zürnt ihr, so sündigt nicht; die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn! 27 Gebt auch nicht Raum dem Teufel! 28 Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern bemühe sich vielmehr, mit den Händen etwas Gutes zu erarbeiten, damit er dem Bedürftigen etwas zu geben habe. 29 Kein schlechtes Wort soll aus eurem Mund kommen, sondern was gut ist zur Erbauung, wo es nötig ist, damit es den Hörern Gnade bringe. 30 Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt worden seid für den Tag der Erlösung! 31 Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan samt aller Bosheit. 32 Seid aber gegeneinander freundlich und barmherzig und vergebt einander, gleichwie auch Gott euch vergeben hat in Christus.
Evangelium zuerst, dann Gebote
Bevor ich mit dir in die einzelnen Verse einsteige, möchte ich dir eine grundlegende Wahrheit vor Augen führen: Im christlichen Glauben gehen die Tatsachen des Evangeliums den Geboten immer voraus. Das bedeutet: Nur wer neu geworden ist, also einen neuen Herrn, einen neuen Geist, ein neues Denken und ein neues Herz empfangen hat, kann auch so leben, wie es Gott gefällt.
Wenn man einem alten, nicht wiedergeborenen Menschen sagt: „Du sollst nicht stehlen“, wird das keine nachhaltige Veränderung bewirken.
„Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer.“ (Römer 3,12)
Das gilt für alle, die Jesus nicht kennen und in ihrem alten Wesen verharren. Christliche Gebote wirken erst dann, wenn ein Mensch neu gemacht ist – wenn er einen neuen Herrn hat, einen neuen Geist, ein erneuertes Denken und ein neues Herz hat.
Lüge ersetzen durch Wahrheit
Jetzt lade ich dich ein, mit mir gemeinsam die christlichen Gebote zu betrachten. Wir beginnen mit Epheser 4,25:
„Deshalb legt die Lüge ab und redet Wahrheit jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander.“
Im griechischen Urtext steht für „Lüge“ das Wort „pseudo“ – ein Begriff, der den wahren Charakter der Lüge beschreibt: Es geht darum, einen falschen Anschein zu erwecken, zu täuschen, Wahrheit durch Unwahrheit zu ersetzen – immer mit dem Ziel, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
Wir lesen in Johannes 8,44 sehr deutlich, woher Lüge kommt. Dort erklärt Jesus, dass der Teufel der Vater der Lüge ist. Wenn du lügst, tust du das, was zum alten Menschen gehört – unter der Herrschaft des Teufels. Das ist kein neues Gebot – wir finden es schon unter den Zehn Geboten. Doch hier geht es um mehr. Es reicht nicht, einfach nur nicht zu lügen.
In diesen Versen zeigt sich ein klares Prinzip: Tu das Böse nicht – tu stattdessen das Gute.
Wenn du mit Sünde kämpfst und dich nur darauf konzentrierst, etwas zu unterlassen, wird es sehr schwer. Der Schlüssel liegt darin, das Böse durch das Gute zu ersetzen.
Schau in das Wort Gottes – du wirst sehen: Immer wenn das Neue Testament ein Verbot ausspricht, zeigt es zugleich, was an dessen Stelle treten soll. Es nennt nicht nur das, was du lassen sollst, sondern auch das Gute, das du stattdessen tun sollst.
In diesem Fall heißt das: Lege die Lüge ab – und sprich die Wahrheit. Aber nicht irgendwie, nicht hart oder verletzend, sondern: In Liebe. Zur Erbauung. Das ist das positive Gebot.
Vielleicht denkst du jetzt an Halbwahrheiten – an Momente, in denen du jemanden belogen hast, der dir nahesteht. Und ja, es ist gut, sich damit ehrlich auseinanderzusetzen. Aber bleib nicht dort stehen. Geh einen Schritt weiter und frage dich: Wann hast du das letzte Mal Wahrheit gesprochen – in Liebe, um deine Geschwister in Christus zu ermutigen? Denn das ist weit mehr, als einfach nur nicht zu lügen.
Was ist aber diese Wahrheit, die wir sprechen sollen? Ich möchte dir drei Aspekte zeigen, die aus dem Johannesevangelium stammen:
- „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch mich!“ (Johannes 14,6)
→ Jesus ist die Wahrheit. Wenn du Wahrheit redest, dann unter der Herrschaft dessen, der selbst die Wahrheit ist – in Übereinstimmung mit seinem Wesen und seiner Mission.
Und wie war diese Mission? In Johannes Kapitel 1,14 steht:
“wir sahen seine Herrlichkeit … voller Gnade und Wahrheit”.
Allein dieser Satz setzt den Ton dafür, wie wir Wahrheit weitergeben sollen: Nicht kalt, nicht hart – sondern durchdrungen von Gnade, getragen von Herrlichkeit. - „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, so wird er euch in die ganze Wahrheit leiten“ (Johannes 16,13)
→ Wahrheit steht immer in Übereinstimmung mit Jesus Christus, der selbst die Wahrheit ist. Und sie geschieht unter der Leitung dessen, der der Geist der Wahrheit genannt wird.
Wenn du einem Bruder oder einer Schwester die Wahrheit sagen willst – vertraue dem Heiligen Geist. Er wird dich leiten. Er weiß genau, welche Worte nötig sind, wie sie gesagt werden müssen und wann der rechte Moment ist. Denn er ist der Geist der Wahrheit. Und wenn wir uns ihm in diesem Prozess anvertrauen, dann geschieht, was Jesus verheißen hat: Wir werden Schritt für Schritt in “die ganze Wahrheit” geführt. - „Heilige sie in deiner Wahrheit! Dein Wort ist Wahrheit.“ (Johannes 17,17)
→ Der Ton, in dem Worte der Wahrheit gesprochen werden sollen, ist durch Jesus Christus selbst gesetzt. Der Heilige Geist ist es, der uns in die Wahrheit hineinführt – der uns hilft zu reden, der uns zeigt, wann wir sprechen sollen und wann wir besser schweigen. Und das Wort Gottes – es ist Wahrheit. Ein kostbarer Schatz in unserer Hand, aus dem wir uns immer wieder mit Wahrheit füllen dürfen – und sollen.
Wenn ich Verse wie in Epheser 4 lese, merke ich, dass ich oft nur prüfe, wann ich das letzte Mal gelogen habe. Aber eigentlich sollte ich mich viel häufiger fragen:
Wann habe ich Wahrheit gesprochen – eine Wahrheit, die Christus verherrlicht, vom Geist geleitet ist und sich auf das Wort Gottes gründet?
Diese Frage solltest auch du dir stellen. Gib dich nicht damit zufrieden, einfach weniger zu lügen. Sprich aktiv Wahrheit, die erbaut! Paulus nennt uns auch den Grund dafür:
„Denn wir sind Glieder voneinander.“ (Vers 25)
Stell dir einen Körper vor, in dem die Augen den übrigen Gliedern falsche Signale geben – sie sagen nicht, dass ein Abgrund kommt. Oder sie warnen vor einem Ort, wo in Wirklichkeit eine Oase des Segens liegt. So ist es, wenn du nicht in Wahrheit sprichst. Als Glieder eines Leibes sind wir auf korrekte Kommunikation angewiesen – so wie Nervenbahnen im Körper verlässlich Signale senden müssen. Und mir ist bewusst, dass ich da viel zu lernen habe. Vielleicht du auch.
Gerechter Zorn statt sündigem Zorn
Epheser 4,26–27 folgt dann mit einer weiteren Anweisung:
„Zürnt ihr, so sündigt nicht; die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn! 27 Gebt auch nicht Raum dem Teufel!“
Ich erinnere mich daran, wie ich diesen Vers als Kind verstanden habe: „Zürnt nicht – und sündigt nicht.“ Als ob Zorn grundsätzlich etwas Böses sei. Doch genau das steht hier nicht.
Tatsächlich liegt in der Formulierung ein positiver Imperativ: „Zürnt – aber sündigt dabei nicht.“ Das bedeutet: Gläubigen wird nicht nur erlaubt, Zorn zu empfinden – sie werden sogar dazu aufgefordert. Aber wie sollen wir das verstehen? Was bedeutet gerechter Zorn?
In solchen Fragen ist es immer gut, wenn wir den Blick auf das Leben unseres Herrn Jesus richten. Ich möchte dich mitnehmen zu drei Begebenheiten aus seinem Leben, um zu lernen, was heiliger, gerechter Zorn wirklich bedeutet.
1) Johannes 2 – Tempelreinigung
„Schafft das weg von hier! Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus!“ (Johannes 2,16)
„Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt.“
Wir sehen hier gerechten Zorn in Aktion. Aber wodurch wurde dieser Zorn ausgelöst? Durch die Missachtung der Heiligkeit des Vaters und der Heiligkeit seines Hauses, dem Tempel. Und Jesus reagierte hier aus heiliger Leidenschaft für das, was Gott heilig ist.
2) Markus 3, Vers 5
„Und indem er sie ringsumher mit Zorn ansah, betrübt wegen der Verstocktheit ihres Herzens, sprach er zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus, und seine Hand wurde wieder gesund wie die andere.“
Auch hier begegnet uns wieder der gerechte Zorn des Herrn. Doch was war der Auslöser? Es war die Verstocktheit der Herzen – die Kälte, die Hartherzigkeit, der fehlende Blick für das Leid eines Einzelnen. Die religiösen Führer standen da, äußerlich fromm, doch innerlich gleichgültig gegenüber dem Mann mit der verkrüppelten Hand. Jesus sah ihre Mitleidlosigkeit – und er wurde zornig. Aus Empörung über die Ungerechtigkeit, die einem Menschen angetan wurde. Ein Zorn über das Unrecht, das dem Einzelnen angetan wurde.
Und ohne dass wir es jetzt lesen, nehme ich dich mit an einen dritten Ort …
3) Der Garten Gethsemane,
Bei der Verhaftung unseres Herrn – kein Zorn.
Vor Pilatus und Herodes, ungerecht verurteilt – kein Zorn.
Am Kreuz, gequält, verspottet, von Menschen verhöhnt – kein Zorn.
Daran erkennen wir:
- Zorn ist richtig, wenn es um Gottes Heiligkeit und um Ungerechtigkeit gegenüber anderen geht.
- Zorn ist falsch, wenn er sich um uns selbst dreht.
Gerechter Zorn liebt, was Gott liebt, und hasst, was Gott hasst. Er brennt in uns, ist jedoch von Weisheit und Vernunft gemildert. Auch das sehen wir in der Tempelreinigung. Er ist niemals egoistisch, niemals auf uns selbst bezogen, sondern geht mit Demut einher.
Dann lesen wir in Vers 26 die nächste Aufforderung:
„Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn!“ (Eph 4,26)
Ich glaube nicht, dass das bedeutet, dass jeder Zorn buchstäblich vor Sonnenuntergang enden muss. Vielmehr geht es darum, Zorn nicht in sich hineinzufressen oder ungelöst stehen zu lassen. Denn wenn wir gleichgültig werden gegenüber dem, was Gott nicht gleichgültig ist, dann geschieht genau das, was laut Vers 27 nicht geschehen soll:
„Gebt nicht Raum dem Teufel.“ (Eph 4,27)
Tun wir nichts, öffnen wir ihm Raum. Lasst uns überlegen, was gerechter Zorn heute für uns bedeutet. Ich musste an einen der letzten Kirchentage denken, wo sich ein Pastor hinstellt und ruft: „Gott ist queer!“ – Was macht das mit dir? Oder denken wir an das Thema Abtreibung: das organisierte Töten ungeborenen Lebens. Das darf uns nicht kaltlassen.
Doch dann stelle ich mir auch die Frage: Habe ich Verantwortung? Habe ich Einfluss? Ja – zum Beispiel, indem ich Organisationen wie 1000plus unterstütze, die sich für werdende Mütter in Konfliktsituationen einsetzen und ihnen echte Hilfe anbietet.
Ich habe keinen Einfluss auf die evangelische Kirche. Doch wir tragen Verantwortung hier – in unseren eigenen Reihen. Was hier gedacht, geglaubt, gesagt wird. Wisst ihr, manchmal ziehen wir uns aus Bequemlichkeit zurück und werden gleichgültig gegenüber dem Bösen. Und dann wieder stürzen wir uns in eine Situation mit einem Zorn, der über das Ziel hinausschießt – und kippen dabei, bildlich gesprochen, das Kind mit dem Bade aus. Lasst uns deshalb gemeinsam darüber nachdenken, wie gerechter Zorn wirklich aussieht – und wie wir ihn im Miteinander so einsetzen können, dass er Gott ehrt und uns selbst zum Segen wird.
Stehlen ersetzen durch Arbeiten & Geben
Das Dritte, das wir in diesem Abschnitt finden: Der neue Mensch ersetzt Stehlen durch Wohltätigkeit.
„Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr … damit er dem Bedürftigen etwas zu geben habe.“ (Eph 4,28)
Die Natur des Stehlens besteht darin, dass ich jemandem etwas wegnehme, wofür er gearbeitet hat und was ihm rechtmäßig gehört. Ich ernte, wo ich nicht gesät habe. Stehlen ist zutiefst egoistisch. Es ignoriert die Besitzrechte des anderen – und sagt im Grunde: „Ich bin wichtiger als du.“
Bist du zufrieden mit dem, was Gott dir gibt? Oder hältst du Ausschau nach Gelegenheiten, dir etwas zu nehmen, was dir nicht gehört? Es geht um Zufriedenheit. Ob du anerkennst, was Gott dir zugemessen hat, und was nicht.
Auch hier reicht es nicht aus, einfach nur aufzuhören zu stehlen. Du musst Stehlen durch Großzügigkeit ersetzen. Arbeite hart und fleißig – genau das fordert Vers 28. Doch nicht in erster Linie, um deine eigenen Bedürfnisse zu stillen, sondern damit du jemand wirst, der gibt statt nimmt. Damit du den Bedürftigen helfen kannst.
Mit welchem Ethos gehst du zur Arbeit? Gehst du mit dem Wunsch, etwas zu haben, das du mit anderen teilen kannst?
Darin liegt ein entscheidender Unterschied zum Islam. Auch dort wird Stehlen als Sünde erkannt – die Diagnose ist gleich. Doch die Reaktion? Die Strafe ist radikal: die Hand wird abgehackt. Was für ein Menschenbild steht dahinter? Es sagt: Einen Dieb kann man nicht verändern. Man muss ihn daran hindern, zu tun, was er ohnehin tun will. Veränderung? Unmöglich. Und wenn er wieder stiehlt? Dann wird der linke Fuß abgehackt. Der Dieb soll es noch schwerer haben, zu stehlen. Sein Verhalten wird eingeschränkt, aber sein Wesen bleibt unberührt. In diesem Vergleich sieht man die Größe des Evangeliums:
… Es ist Gottes Kraft zur Errettung für jeden, der glaubt (Römer 1,16)
Es verändert. Es macht aus einem Dieb jemanden, der mit seinen Händen arbeitet, um nicht mehr zu nehmen, sondern zu geben. Wie groß ist unser Herr! Wie groß ist unsere Botschaft!
Zerstörerische Sprache ersetzen durch Aufbauende
„Kein faules Wort gehe aus eurem Mund hervor, sondern was irgend gut ist zur notwendigen Erbauung, damit es den Hörenden Gnade darreiche.“ (Epheser 4,29)
Der neue Mensch ersetzt zerstörerische Sprache durch aufbauende. Weißt du, was mit „faulem Wort“ gemeint ist? Es kommt vom griechischen Bild einer verdorbenen Frucht – etwas, das Ekel erregt. Stell dir einen faulen Apfel in einem Korb guter Äpfel vor. Er verdirbt das Umfeld.
Solche Worte sind Beschimpfungen, Sarkasmus, Spott, Hohn, Verleumdung, destruktive Kritik, schmutzige Sprache, anzügliche Witze – Worte, deren Zweck es ist zu verletzen, nicht aufzubauen. Doch das passt nicht zum Wesen des neuen Menschen. In Matthäus 12 steht:
„Denn wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund..“ (Mt 12,34)
Es geht also nicht nur darum, einfach den Mund zu halten. Nein – du sollst reden, aber Worte sprechen, die gut sind. Denn Gott ist gut, und alles Gute kommt von ihm. Wir werden hier aufgefordert, Worte zu reden, die erbauen.
Vers 29: damit es den Hörenden Gnade darreiche
Das bedeutet: dem anderen Gutes zusprechen – selbst wenn er es nicht verdient hat. Das ist das Wesen der Gnade: Sie ist unverdient. Doch eines ist klar: Ohne die Kraft des Evangeliums ist das unmöglich. Du kannst es nur dann tun, wenn diese gute Botschaft dein Herz erreicht hat – gerade als du selbst es nicht verdient hattest. Erst dann wirst du fähig, Worte der Gnade weiterzugeben.
Frage dich: Wenn du mit anderen sprichst – werden sie dadurch gestärkt? Ermutigt? Oder eher verletzt und zerstört?
Heißt das nun, wir dürfen keine klare Wahrheit mehr aussprechen? Nein. Wahrheit kann sehr wohl erbauen – wenn sie in einer Haltung gesagt wird, die erkennen lässt: Ich will dir helfen, nicht dich verurteilen. Es kommt darauf an, wie du sprichst.
Manchmal muss etwas zerbrechen, bevor es wieder aufgebaut werden kann. Doch wenn du sprichst, soll deutlich werden: Meine Absicht ist Wiederherstellung – nicht Zerstörung.
Den Heiligen Geist nicht betrüben
Und nun kommt Paulus zu einem allgemeinen, zusammenfassenden Gedanken – nach all den konkreten Beispielen sagt er:
„Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, durch den ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung.“ (Epheser 4,30)
Der Heilige Geist ist eine Person, kein Gefühl, keine unsichtbare Kraft, kein Einfluss wie Elektrizität oder Erdanziehung. Hast du jemals versucht, die Schwerkraft traurig zu machen? Oder Elektrizität zu belügen – so wie in Apostelgeschichte 5 der Heilige Geist angelogen wurde? Das ist unmöglich. Aber den Heiligen Geist kannst du betrüben. Warum? Weil Er eine Person ist. Und nur eine Person kann man verletzen, betrüben, belügen.
Was bedeutet es, den Heiligen Geist zu betrüben? Es bedeutet, ihm emotionalen Schmerz zuzufügen. Sünde in der Gemeinde – und hier besonders zwischenmenschliche Sünde – verletzt den göttlichen Gast, der in unserer Mitte wohnt. Der Geist ist betrübt, wenn du das Alte nicht durch das Neue ersetzt.
- Er ist betrübt, wenn du statt der Wahrheit die Lüge wählst.
- Er ist betrübt, wenn du Gleichgültigkeit zeigst, statt gerechtem Zorn.
- Er ist betrübt, wenn er Diebstahl sieht, statt großzügiges Geben.
- Er ist betrübt, wenn du mit verletzenden Worten sprichst, statt mit aufbauender Gnade.
Ich habe darüber nachgedacht, warum genau diese Dinge den Heiligen Geist so sehr betrüben. Vielleicht kennst du das: Du hast ein Hobby, in das du viel Zeit und Herzblut investierst. Etwas Handwerkliches vielleicht – etwas, das unter deinen Händen entsteht. Du gibst alles hinein: Zeit, Geschick, deine Fähigkeiten, sogar Geld. Und am Ende hältst du das Ergebnis in den Händen. Du schaust es an – und bist stolz.
Wie könnte dich nun jemand, der dir nahe steht, am tiefsten treffen? Indem er genau dieses Werk ruiniert. Indem er zerstört, worin du dein ganzes Herz gelegt hast.
So fühlt sich der Heilige Geist, wenn wir sein Werk in der Gemeinde durch Sünde verderben. Denn seine Mission ist es, das Werk des Evangeliums in uns als Gemeinschaft zu vollenden. Er lässt uns heranwachsen zur ganzen Fülle Gottes, in Einheit und in Heiligkeit. Alles, was diesem Auftrag entgegensteht, alles, was wir tun, was seine Mission behindert – das betrübt ihn.
Ein Gedanke hat mich besonders erschüttert: Unser Verhalten miteinander als Gemeinde hat direkten Einfluss auf die geistliche Welt.
Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du verhältst dich auf eine Weise, die den Heiligen Geist betrübt – und dadurch dem Teufel Raum gibt. Oder du lebst so, dass der Heilige Geist sich freut – und der Teufel draußen bleibt.
Bitterkeit ersetzen durch Güte & Vergebung
Jetzt komme ich zu meinem letzten Punkt: Epheser 4,31-32
„Alle Bitterkeit und Wut, Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan samt aller Bosheit. Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat.“
Hier siehst du, wie der neue Mensch handelt. Er ersetzt Bitterkeit durch Güte und Vergebung.
Sechs Dinge sollen wir ablegen – umrahmt von zwei Begriffen: Bitterkeit am Anfang und Bosheit am Ende. In der Mitte: zwei Wortpaare – Wut und Zorn, Geschrei und Lästerung.
Was ist Bitterkeit?
Bitterkeit entsteht, wenn du eine Kränkung oder Sünde gegen dich nicht loslässt. Stattdessen hegst und pflegst du den Groll in deinem Herzen. Ich wähle diese Worte bewusst: hegen und pflegen. Denn Bitterkeit wächst, wenn du sie nährst. Und wenn sie ausgereift ist, wird sie zur dauerhaften Feindseligkeit.
Menschen, die Bitterkeit im Herzen tragen, reagieren oft mit Wut oder Zorn.
Wut ist diese explosive, unkontrollierte Emotion – dieses plötzliche, heftige Herausschießen.
Zorn dagegen ist das Gegenteil: innerlich, brodelnd, grimmig. Er frisst dich von innen auf. Er kontrolliert dich mit stiller, mürrischer Feindseligkeit.
Dann das zweite Wortpaar:
Geschrei – das ist der laute, gewaltsame, öffentliche verbale Ausbruch.
Lästerung – das leise Gift: schlecht über jemanden sprechen, hinter dem Rücken. Bösartige Worte, die Beziehungen zerstören.
All das – Wut, Zorn, Geschrei, Lästerung – kommt aus einem bitteren Herzen. Und es bringt immer wieder neue Bitterkeit hervor.
Und schließlich Bosheit: das meint jede Art von Böswilligkeit, alles Böse, das dem Wesen des neuen Menschen widerspricht.
Die verborgene Wurzel: Bitterkeit ist kein privates Problem
Lass mich dir zum Schluss noch eine eindringliche Warnung mitgeben aus Hebräer 12,15:
„Achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosse und euch beunruhige und viele durch sie verunreinigt werden.“
Wenn du Christ bist, wenn du wiedergeboren bist, wenn du ein neuer Mensch bist und Teil einer Gemeinde – dann ist Bitterkeit, die in dir wohnt, keine Privatsache. Bitterkeit betrifft nicht nur dich. Sie breitet sich aus, sie infiziert andere. Deshalb möchte ich dir ein Bild mitgeben.
Als wir 2015 in unser Haus eingezogen sind, hatte der Vorbesitzer Bambus gepflanzt – ohne Wurzelsperre. Mit der Zeit spross er überall durch: hinter der Hecke, beim Nachbarn, im Flieder, mitten aus der Rose, sogar unter dem Gehweg, wo er die Pflastersteine hochgedrückt hat. Und ich habe das Problem nicht gründlich beseitigt. Ich habe Steine weggenommen, Folie entfernt – aber die Wurzeln hatten sich bereits mit der Folie verbunden. Und bis heute kommt dieser Bambus immer wieder hoch. Genau so ist es mit Bitterkeit. Sie wächst unter der Oberfläche und bricht dann plötzlich durch – zerstört, verunreinigt, vergiftet.
Stattdessen sind wir dazu berufen, einander zu vergeben und gnädig miteinander zu sein.
Vergebung – das klingt groß, fast unmöglich. Und vielleicht denkst du, dass du es nicht kannst. Vielleicht hast du Dinge erlebt, die dich tief verletzt haben. Ich verstehe das. Doch ich will dir zeigen, was Vergebung nicht bedeutet:
- Vergebung heißt nicht vergessen.
- Vergebung heißt nicht automatisch Versöhnung, auch wenn Versöhnung eine wunderschöne Frucht der Vergebung sein kann.
- Vergebung bedeutet nicht, dass du der Person wieder genauso vertrauen musst wie zuvor.
Die Bibel gibt uns Bilder, um das Wesen der Vergebung zu verstehen:
- Vergebung ist ein Bedecken von Sünden – wie beim großen Sühnetag im Alten Testament. Das Wort „Sühne“ bedeutet „bedecken“.
- Vergebung ist, als würde man eine Last vom Rücken nehmen.
- Vergebung ist, als würde man einen Schuldschein zerreißen – als würde die Schuld annulliert.
Was bedeutet das nun für dich?
Biblische Vergebung heißt: Ich entscheide mich, dem, der gegen mich gesündigt hat, seine Schuld nicht mehr nachzutragen. Ich halte sie ihm nicht mehr vor – weder in Gesprächen noch in meinen Gedanken.
Vielleicht fragst du dich: Wie soll ich das schaffen?
Die Antwort ist: Du musst es nicht aus dir selbst heraus schaffen.
Schau, Paulus wusste, dass Vergebung schwer ist. Deshalb schreibt er – geleitet durch den Heiligen Geist – am Ende von Epheser 4,32:
„Vergebt einander, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat.“
Er ändert den Fokus. Es geht nicht zuerst darum, was du tust, sondern darum, was Gott für dich getan hat.
Gott war gütig und mitleidig – mit dir und mit mir. Er hat uns in Christus vergeben.
Ich habe es nicht verdient. Du hast es nicht verdient. Aber er hat es getan. Das ist die Kraft des Evangeliums. Es hat die Macht, Bitterkeit aus deinem Herzen zu entfernen – und echte Vergebung hineinzupflanzen.
Jetzt noch ein letzter, wichtiger Punkt:
In Vers 31 von Epheser 4 findet sich ein interessantes grammatikalisches Konstrukt: ein passiver Imperativ. „Lass dir die Haare schneiden“ – ist ebenfalls ein passiver Imperativ. Die Aufforderung „Lass die Bitterkeit von dir wegnehmen.“ anerkennt, dass du es nicht selbst schaffen kannst und ist trotzdem ein Befehl!
Gott weiß, dass du in dir selbst keine Kraft hast, Zorn, Wut, Lästerung, Bitterkeit aus dir zu entfernen. Deshalb sagt er: „Lass es dir wegnehmen.“ Das ist seine Gnade. Und das ist die Kraft des Evangeliums.
Wenn du sagst: „Gott, ich will vergeben, aber ich kann nicht“ – dann wird er durch den Heiligen Geist kommen und in deinem Herzen das Werk tun, das du selbst nicht vollbringen kannst.
Du kannst das nicht alleine tun.
Rufe zu Gott.
Blicke auf Christus am Kreuz.
Blicke auf die göttliche Vergebung.
Lass den Heiligen Geist das Werk des Evangeliums in deinem Herzen vollenden.
Weil dieses Thema so herausfordernd, so praktisch und so wichtig für uns als Gemeinde ist, lade ich dich jetzt ein, dir fünf Minuten der Stille zu nehmen. Denke darüber nach. Bete. Bereite dein Herz vor.
Denn danach werden wir das Abendmahl feiern – das größte Werk der Vergebung, das je geschehen ist.
Sollten wir uns nicht vorbereiten?
- Solltest du nicht Unwahrheiten vor Gott bringen, die du ihm noch nicht bekannt hast?
- Dinge bekennen, die du genommen hast, obwohl sie dir nicht gehören – materiell oder immateriell?
- Sollten wir nicht bekennen, wenn zerstörerische Worte aus unserem Mund kamen?
- Wenn wir geschwiegen haben, wo wir Wahrheit hätten sprechen sollen?
- Wenn wir Gleichgültigkeit gezeigt haben, wo gerechter Zorn angebracht gewesen wäre?
Und wenn du weißt, dass du Dinge mit jemandem klären musst – geh es an.
Gib dem Teufel keinen Raum.
Betrübe nicht den Heiligen Geist.

